Baubeschreibung
Allgemein wird die Leonhardkirche in das Jahr 1433 datiert und mit der um 1293 erbauten ehemaligen Deutschordenskirche (Leechkirche) in Graz in Verbindung gebracht. Der Befund lässt jedoch eine weitere, spätere Bauphase erkennen.
Die Affinität zur Leechkirche besteht im kapellenförmigen Grundriss (in St. Leonhard um ein Joch verlängert), in den mit Rundstäben gebündelten Wandvorlagen sowie in den mit Blattformen skulptierten, spulenförmigen Kapitellen mit polygonalen Deckplatten. Vermutlich ist das retrospektive Formenrepertoire auf Initiative des Deutschen Ritterordens erfolgt, der den in seiner Kommende entstandenen Kirchenbau von St. Leonhard nach dem architektonischen Konzept seines Ordensbaus orientiert sehen wollte. Entgegen der bisherigen Meinung lassen sich jedoch die Rippenfiguration mit sechszackigen Sternen und die Schlußstein-Scheitelringe des Emporengewölbes stilistisch und zeitlich nicht mit dem überlieferten Weihedatum von 1433 in Einklang bringen; dieses architektonische Repertoire entstammt dem Formenschatz des unter Kaiser Friedrich III. tätigen kaiserlichen Steinmetzen Peter Pusika (z. B. Torhalle, ab 1449, der Burg Friedrichs III. und St. Peter an der Sperr, 1456-1458, in Wiener Neustadt, Chor der Piaristenkirche in Krems, 1457) und dürfte daher auf die friedrizianische Bauhütte bzw. auf deren Werkleute zurückzuführen sein. Die spätere Einwölbung und der Emporeneinbau stehen vermutlich entweder in Verbindung mit der Übergabe der Kirche an die Franziskaner-Observanten im Jahr 1463 oder aber im Zusammenhang mit der Erhebung zur Pfarre, die um 1495 erfolgt ist. Für die letztere Annahme würde auch die Wiedergabe des Landeswappens an prominenter Stelle im Gewölbe des Chorscheitels sprechen, was eine Munifizenz (finanzielle Zuwendungen) der steirischen Landstände sichtbar machen sollte.
Der Außenbau
In der Außenerscheinung der St. Leonhardkirche dokumentiert sich deren wechselhafte Baugeschichte. Der spätgotische Sakralbau erhielt in der Barockzeit durch die Anbauten der Marienkapelle, der Westfassade und durch die Turmhelmgestaltung markante Akzente, bekam durch die Einfügung eines neogotischen Emporenportals an der Nordseite ein historistisches Bauelement und erfuhr im 20. Jahrhundert durch einen Erweiterungsanbau einen gegenwartsbezogenen architektonischen Kontrapunkt. Die zwischen barocker Fassadenfront und moderner Ostanlage eingespannte spätgotische Kirche ist durch zweifach abgetreppte, ursprünglich mit Kreuzblumen bekrönte Strebepfeiler rhythmisiert. An der Südseite und an der Nordost-Chorecke haben sich zweizeilige Spitzbogenfenster mit dekorativen Maßwerkformen (1878-1879 erneuert) erhalten; lediglich im vierten Joch ist ein Rundfenster (1995 freigelegt) eingelassen. Die Fensteröffnungen an der Nordseite wurden vermauert. Zwischen dem dritten und vierten Joch der Nordseite erhebt sich der sechsgeschossige Turm. Seine drei untersten, mit Kaffgesimsen und Fensterschlitzen strukturierten Geschosse gehören noch dem 15. Jahrhundert an. Die zwei folgenden, von denen das oberste mit gekuppelten Fenstern akzentuiert ist, wurden 1617-1620 aufgeführt, während das letzte Geschoss und der bemerkenswert gestaltete Turmhelm von Johann Georg Stengg (1689-1753) in den Jahren 1746-1747 errichtet wurden. Spätgotische Bausubstanz besitzt auch die an den Turm gefügte ehemalige Sakristei, die an ihrer Ostseite ein mit Kehlungen profiliertes Spitzbogentor aufweist. Ein hier anschließender Altbau wurde 1961-1962 entfernt. Das polygonale Treppentürmchen mit einer Spindeltreppe wurde 1894 errichtet.
Die als „Schauwand" konzipierte Westfassade entstand um 1775 vermutlich nach einem Entwurf von Johann Joseph Stengg (1722-1782), dem Sohn des Johann Georg Stengg. Als dominierende Gliederungselemente fungieren toskanische Kolossalpilaster, ein die Fassade abschließender Ziergiebel mit Dreieckbekrönung und mit einem nachträglich vermauerten „Bassgeigenfenster", ein bereits mit klassizistischem Ornamentdekor akzentuiertes Rundbogenfenster im Fassadenzentrum sowie das bemerkenswerte Eingangsportal.
Kompositionen ungewöhnlich ist das Fehlen einer Sockelgliederung, was jedoch durch die in der „Sockelzone" angebrachten Epitaphien erklärbar ist. Das lt. Datierung 1776 verfertigte und mit korinthischen Säulen instrumentierte Portal weist eine auf den Kirchenpatron bezogene bildhauerische Ausstattung auf, die Veit Königer (1729-1792) zugeschrieben wird. Die in Mönchskutte mit Abtsstab dargestellte Statue des hl. Leonhard zeigt den Heiligen sowohl als Patron der Haustiere als auch als Nothelfer von Gefangenen. Der zum Portal gehörende, mit Eisenblech beschlagene und mit geschmiedetem Rosettendekor und Rocaillebeschlägen dekorierte Türflügel ist um 1776 zu datieren.
Westportal
Die 1712 über einem elliptischen Grundriss errichtete und an das dritte Joch der Sudseite gefügte Marienkapelle (heute Taufkapelle), die ehemals eine 1887 entfernte Laterne aufwies, besitzt eine toskanische Pilastergliederung sowie „geehrte" Rechteckfenster mit spätbarocken, schmiedeeisernen Vergitterungen. Ein schmiedeeiserner Türflügel mit um 1775 zu datierenden Beschlagen schließt das rechteckige Steintor. Das 1928 enthüllte Kriegerdenkmal erinnert an das k. u. k. 5. Dragoner-Regiment. Der Portalvorbau mit dem maßwerkverzierten neogotischen Spitzbogentor des an der Nordwestecke angebauten spätgotischen Emporenaufgangs - im Inneren mit Spindeltreppe und Sterngewölbe - entstand 1896. Der nach Plänen des Grazer Architekten Karl Lebwohl 1961-1962 ausgeführte oktogonale Erweiterungsbau schließt den Kirchenbau markant nach Osten ab. Den gerade vortretenden Chorraum akzentuiert eine in die Mauer vertiefte Kreuzform, wahrend die Seitenwände durch die wechselnde Abfolge der schmalen Betonfensteröffnungen rhythmisiert werden. Das Nord-Eingangstor weist an den mit Kupferblechen verkleideten Türflügeln Dastellungen der Zwölf Apostel (1962) von Josef Papst in Treibarbeit auf. Mehrere Grabdenkmäler bereichern die Außenerscheinung des Kirchenbaus: Besonders bemerkenswert ist das rechts neben dem Westportal befindliche Epitaph des 1723 verstorbenen Pfarrers, Apostolischen Protonotars und gräflichen Palatins Johannes Adam Holzmon, das mit den Insignien der päpstlichen Auszeichnung (Prälatenhut mit Quasten) und mit Vanitassymbolen (Totenkopf und Sanduhr) stukkiert und lt. Inschrift 1734 vom Steinmetz Mathias Piecker verfertigt worden ist. Weiters sind zu nennen die an der Westfassade eingemauerten Epitaphien des Grazer Goldschmieds Hans Christoph Freydenstein (+ 1673) und des Pfarrers Aloysius Borzaga (+ 1781) sowie an der Südseite die Grabdenkmaler für den Hofkammerrat und Münzmeister Andreas Edler von Kainbach (+ 1652) mit seinem reliefierten Wappen sowie für die in St. Leonhard tätigen Pfarrer Johannes Kirchschlager (+ 1691) und Rudolf Hasert + 1902). An der Nordseite befinden sich die Epitaphien für Johann Georg Schikh (+ 1684) und für den St. Lambrechter Abt Berthold Sternegger (+ 1793).
Der Innenraum
Den spätgotischen Kirchenraum betritt man durch das Westportal. Das einschiffige, kapellenartige Langhaus weist vier Joche auf und war ehemals mit einem aus fünf Seiten eines Achtecks bestehenden Chorpolygon geschlossen. Im Zusammenhang mit dem Erweiterungsanbau wurde das Chorpolygon geöffnet, wobei die mittlere Achse entfernt und die beiden Chorschrägen gerade gestellt wurden. Das Gewölbe ist mit einer jochverschleifenden Rippenfiguration aus „Sechsecksternen" strukturiert, als Auflagen für die Rippen fungieren gebündelte, von Konsolen gestützte Absenker. Lediglich im Chorscheitel reichen die Gewölbedienste bis zum Boden, wodurch der Chorraum besonders akzentuiert wird. Aus statischen Gründen wurden diese Dienste 1961-1962 mit Betonstützen hinterfangen. Die Gewölbeschlusssteine, Kapitelle und Konsolen sind skulptiert und weisen z. T. programmatische Darstellungen auf. Die am Hauptknotenpunkt der Gewölberippen befindlichen Schlusssteine zeigen von West nach Ost: eine Blattrosette, Blattwerk (sog. Buckellaub), das Lamm Gottes (Symbol für den Opfertod Christi), den seine Jungen mit dem Herzblut nährenden Pelikan (eine dem „Physiologus", einer frühmittelalterlichen Schrift entnommene Darstellung, die ebenfalls als Symbol für den Opfertod Christi gilt) sowie ein Wappenschild mit dem steirischen Panther. Die Kapitelle und Konsolen zeigen fast durchwegs skulptierte Laubwerkdarstellungen. Lediglich an dem Kapitell über der ehemaligen Sakristei befindet sich die Wiedergabe zweier sich verbeißender Drachen, die das bezwungene Böse symbolisieren. Die dreiachsige, einjochige Westempore auf Runddiensten öffnet sich zum Langhaus mit mehrfach gekehlten Spitzbogenarkaden. Architektonisch bemerkenswert sind die als Scheitelringe ausgeführten Gewölbeschlusssteine. Während die Konsolen der Rippenansätze an der Westwand abgeschlagen wurden, weisen jene am Jochübergang skulptierte Schilder auf, die vermutlich heraldisch bemalt waren. Die geschwungene spätbarocke Emporenbrüstung mit appliziertem Omament-Schnitzwerk ist um 1753 entstanden. Weitere spätgotische Bauelemente sind eine kleine Dreipass-Nische (Piscine) für das Abstellen von liturgischem Gerät im Süd-Chorjoch und anschließend eine spitzbogige Sessionsnische, deren Sitzbank entfernt wurde, sowie an der gegenüberliegenden Nordseite ein vermauertes Rechteck-Steintor als ehem. Zugang in die kreuzrippengewölbte Turmhalle.
Blick zur Westempore
Als Eingang in die „Andachtskapelle" dient ein neogotisches Schulterbogen-Steintor (1877) mit darüber befindlicher repräsentativer neogotischer Oratoriums-Empore aus Sandstein, vermutlich nach einem Entwurf von August Ortwein.