Das geschichtliche Umfeld
Der Bezirk St. Leonhard
Die Geschichte des einstigen Vorortes und heutigen zweiten Stadtbezirkes St. Leonhard und seiner Pfarrkirche ist eng mit der Entwicklung der Stadt Graz verknüpft. Erste römerzeitliche Siedlungsspuren sind für das l. Jahrhundert n. Chr. nachzuweisen, wobei geschlossene Siedlungsgebiete vermutlich im heutigen Herz-Jesu-Viertel und in St. Leonhard bestanden. Von dieser Besiedelung zeugt das bemerkenswerte, ehemals in die Außenwand der St.-Leonhard-Kirche eingelassene Grabdenkmal des L. Cantius Secundus (um 100 n. Chr.; jetzt im Lapidarium des Landesmuseums Joanneum, Graz, im Park des Schlosses Eggenberg). Der um die Kirche gelegene Ortskern von St. Leonhard geht vermutlich auf den seit dem beginnenden 11. Jahrhundert bestehenden Besitz des Heunburger Markgraten an der Sann. Günther. zurück der vor l 137 starb. Dieses nach dein Besitzer als "Guntarn" bezeichnete Wirtschaftszentrum bestand aus einem Meierhof, einer dazugehörigen Eigenkirche. einer Mühle, einer Schmiede und einer Taverne, dem heutigen "Schanzlwirt" (diese Meinung vertritt Fritz Posch,. während Gerald Gänser die Lage des Gutshofes "Guntarn" in unmittelbarer Nahe der Leechkirche festlegt). Im Jahr 1185 gelangten die Besitzungen an das Stift Voran, das es 1306 im Tauschwege an die Grazer Kommende des Deutschen Ritterordens übergab. Die weitere Siedlungsentwicklung erfolgte an der alten Straße nach Ödenburg/Sopron und Raab/Györ. die vom rechten Murufer ausgehend entlang der heutigen Leonhardstraße führte. In St. Leonhard teilte sich dieser Handelsweg in die Wegführungen durch Ragnitz nach Hönigtal, über die Ries. die unter Maria Theresia zur ..Reichsstraße" wurde, sowie durch das Stiftingtal weiter nach Raab.
Der heutige Bezirk St. Leonhard entwickelte sich zwischen den beiden mittelalterlichen Siedlungszentren "Guntarn" und dem sudöstlich vor der Stadtmauer liegenden "Grillbühel" (im Bereich der heutigen Technischen Universität). Wahrend der Türkenkriege (1519 und 1532) wurde St. Leonhard verwüstet und war auch Kampfplatz in den Franzosenkriegen (1809). An seinem vorstädtischen Dorfcharakter hat sich bis Anfang des 19. Jahrhunderts nichts geändert, erst im Laufe dieses Jahrhunderts sollte es zur "Nobelvorstadt" werden. Eine rege Bautätigkeit setzte ein: Erzherzog Johann ließ 1841-1843 nach Plänen von Georg Haubensser d. A. das Palais Meran (heute Universität für Musik und darstellende Kunst) erbauen. Johann Christoph Kees 1843-1845 vom selben Architekten sein Palais am Glacis, 1840-1842 entstand die "k. k. Reitschule" (Reiterkaserne). Entlang der 1841 angelegten "Pittoni-Straße" (heute Elisabethstraße) entstanden bemerkenswerte Adelspalais. Die rasche Bevölkerungszunahme machte auch eine Verbesserung der Infrastruktur erforderlich. Kirchen, Schulen und Krankenhäuser wurden errichtet:
1823-1824 die evangelische Heilandskirche.
1846 Kloster und Schule der "Frauen vom heiligsten Herzen Jesu" ("Dames du Sacre Coeur").
1869 Realgymnasium in der Lichtenfelsgasse.
1876 Elisabethschule.
um 1900 Konvent der Ursulinen mit Schule.
1885-1888 nach Plänen von Johann Wist auf dem Areal des ehemaligen Mandell'schen Gartens die "k. k. Technische Hochschule" (heute Technische Universität).
1881-1891 nach Plänen von Georg Hauberisser die Herz-Jesu-Kirche.
1885 das Odilien-Blindeninstitut.
Mit dem ausgedehnten Komplex des in den Jahren 1904-1912 erbauten Landeskrankenhauses wurde schließlich ein städtebaulich dominanter Akzent gesetzt.
Die Baugeschichte der Pfarrkirche St. Leonhard Der Kult des aus einem vornehmen fränkischen Geschlecht stammenden hl.Leonhard (gestorben angeblich um 595), der seine Erziehung und Taufe durch Bischof Remigius von Reims erhalten hat,. ein Hofamt ablehnt und ein Leben als Einsiedler und Missionar beginnt und schließlich Abt (?) des von ihm gegründeten Klosters in Noblac bei Limoges wird, als Patron der Haustiere, insbesondere der Pferde, der Fuhrleute, der Landwirtschaft und der Gefangenen verehrt wird. kam gegen Ende des 11. Jahrhunderts von Frankreich nach Deutschland und Österreich. Die St.-Leonhard-Kirche in Graz war vor allem in den Jahren großer Tierseuchen (1705-1711 und 1755) das Ziel bäuerlicher Wallfahrten. Für die Wahl des Patroziniums, das auch für den einstigen Grazer Vorort namensgebend wurde, spricht u. a. die Tatsache, dass die Leonhardkirche in unmittelbarer Nähe ehemals für den Handel wichtiger und daher von Pferdefuhrwerken stark frequentierter Straßenführungen gelegen ist.
Die im Westen und Norden von einer Kirchhofmauer eingefasste Leonhardkirche bildet wie keine andere Kirche in Graz zusammen mit den Gebäuden des Pfarrhofs, des "Seydler-Hauses" (ehem. Mesner- und Schulhaus), des Pfarrzentrums (ehem. Wirtschaftsgebäude) und mit dem angrenzenden Friedhofsareal ein charakteristisches städtebauliches Ensemble.
1. Romanischer Vorgängerbau
Der Vorgängerbau der heutigen Pfarrkirche war eine zum Meierhof „Guntam" gehörende, vermutlich bereits in der Mitte des 12. Jahrhunderts errichtete Eigenkirche (Posch), die urkundlich erstmals 1361 als „S. Lienhart" bezeichnet wurde.
2. Die spätgotische „Leonhardkapelle"
Dieser Sakralbau wurde 1433 durch einen Neubau ersetzt, der vom Salzburger Erzbischof Konrad Reysberger am 9. April desselben Jahres geweiht wurde. Aus der in einer späteren Abschrift erhaltenen Weiheurkunde geht hervor, dass die „Leonhardkapelle" drei Altäre besaß und dass in dem Maria und dem hl. Leonhard geweihten Hochaltar vom Vorgängerbau stammende Reliquien eingebracht wurden. Es ist zu vermuten, dass bereits die frühmittelalterliche Eigenkirche ein Marienpatrozinium hatte und die Weihe mit dem Doppelpatrozinium, das bis in das 18. Jahrhundert beibehalten wurde, erst im 14. Jahrhundert erfolgte. 1463 übergab Kaiser Friedrich III. die Kapelle den Franziskaner-Observanten, den reformierten „Minderbrüdern" (die Übergabe an die Franziskaner wird von Theodor Graff bestritten). Eine Urkunde von 1471 vermeldet, dass der Kaiser mit Erlaubnis des Papstes Pius II. in dieser Kapelle die Franziskaner eingeführt und das Kloster errichtet habe. Wegen der drohenden Türkengefahr verließen jedoch die Franziskaner schon um 1478 St.Leonhard und erbauten einen neuen Konvent am Tummelplatz (Areal Bürgergasse 13). Nunmehr erfolgte die Versorgung als „Ewiges Vikariat" durch die Grazer Stadtpfarre, 1495 wird Peter Hornberger als Pfarrer von St. Leonhard genannt. Während der Türkeneinfälle von 1480 und 1532 kam es auch zur Beschädigung der Kirche; nach der Wiederinstandsetzung fand 1535 eine Neuweihe statt.
3. Barocke Veränderungen
In den Jahren 1617 bis 1620 wurde der Kirchturm erhöht, der einen mächtigen Spitzhelm erhielt.
1660 wurde der St.-Margarethen-Altar geweiht,
1641 und 1691 sind Weihedaten für den Hochaltar überliefert.
1712 erfolgte der Anbau der Marienkapelle, zwei Jahre später wurde der Marienaltar aufgestellt, dessen von Johann Veit Hauckh 1714 gemaltes Altarblatt sich erhalten hat.
1715 lieferte Hauckh zwei Altarblätter für einen Vierzehn-Nothelfer-Altar, für die Marx Schokotnigg im selben Jahr die Bildhauerarbeiten schuf.
1746 erfolgte die Errichtung eines neuen Hochaltars, dessen skulpturale Ausstattung Philipp Jakob Sträub übertragen wurde.
1746-1747 wurde durch Johann Georg Stengg der Kirchturm neuerlich erhöht und erhielt seine heutige Zwiebelhaube.
1751 wurde eine neue Orgel, 1757 die Toranlage mit den Skulpturen der Apostelfürsten Petrus und Paulus,
um 1775 die Westfassade und gleichzeitig das Kirchenportal (dat. 1776) errichtet.
4. 19. und 20. Jahrhundert: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zur Regotisierung der Inneneinrichtung. Nach Entwürfen von August Ortwein wurden 1886 der Hochaltar, 1891 zwei Seitenaltäre und 1902 die Kanzel aufgestellt. Die Bildhauerarbeiten lieferte Jakob Gschiel, die Steinmetzarbeiten fertigte die Fa. Grein, Vergoldung und Fassung besorgte Wilhelm Sirach. Während bereits 1880 der Plan ventiliert wurde, die Kirche nach Osten und Süden zu vergrößern, wovon man allerdings Abstand nahm, als die Herz-Jesu-Kirche errichtet wurde, erfolgte auf Initiative des Pfarrers Leopold Haas in den Jahren 1959 bis 1962 nach Plänen von Karl Lebwohl ein Erweiterungsbau im Osten, indem bei weitgehender Erhaltung des spätgotischen Chorgewölbes der Chorscheitel geöffnet wurde (Weihe am 26. September 1962). Der neogotische Hochaltar wurde entfernt. 1995 erfolgte eine Gesamtrenovierung und Umgestaltung der Inneneinrichtung des Chor-Neubaus.